Peter Sapper (1922–1981)
und seine Sioux-Schuhfabriken

Herkunft – Kindheit – Jugendjahre von Peter Sapper:

Herkunft – Kindheit – Jugendjahre von Peter Sapper: Sein Großvater väterlicherseits stammte aus der Gegend von Ravensburg und wanderte in den achtziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts nach Guatemala aus. Dort schuf er eine bedeutende Kaffeeplantage, die „Sapper Compania“. Der Vater von Peter Sapper, Carlos Sapper (1895-1971) wuchs, nachdem er in Ravensburg geboren wurde (seine Mutter war eigens zur Entbindung übers Meer gekommen) auf der Plantage in Guatemala auf, kam aber noch als Schüler in sein Geburtsland zurück, wo er dann den Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger mitmachte. 1921 heiratete er Lore Haueisen, die Tochter des Schuhfabrikanten Hermann Haueisen und trat in dessen „Mercedes-Schuhfabriken“ in Stuttgart-Bad Cannstatt ein. Als am 18.August 1922 Sohn Peter geboren wurde, stand der Entschluss fest, nicht mehr nach Guatemala zurückzukehren. Als die Mercedes Schuhfabriken während der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren in andere Hände überging, zog die Familie nach Nürnberg, wo Peter Sapper die Oberrealschule besuchte. 1936 konnte die Familie dann wieder ins vertraute schwäbische zurückkehren und Sohn Peter besuchte die Wilhelms-Oberschule und wechselte später in die Wirtschaftsschule. Kurz vor dem Abitur kam die Einberufung 1939.

Nach dem Arbeitsdienst rückte Peter Sapper 1940 als Rekrut in die Funkkaserne in Fellbach ein, verbrachte anschließend ein recht unkriegerisches Jahr in Südfrankreich und kam nach Absolvierung der Heeresnachrichtenschule in Leipzig 1942 in einer Fernemeldekompanie als Funker nach Russland. Leider hat er es in der Folge nicht mehr geschafft, von den verschiedensten Frontabschnitten der Heeresgruppe Mitte wegzukommen. Das Kriegsende erlebte Peter Sapper in Ostpreußen, aus dem er sich auf dem Seeweg via Kopenhagen und Berlin doch noch zu den Amerikanern retten konnte. Im August 1945 war er schließlich wieder zu Hause in Stuttgart. Wie Viele überlegte er sich nun, ob ein Studium noch sinnvoll war und verbrachte dann das erste Nachkriegsjahr mit dem Besuch einer Dolmetscherschule. Dann entschied er sich für das Praktische und trat 1947 als Volontär in eine Offenbacher Schuhfabrik ein. Dort hatte er die Möglichkeit, sich sowohl technisch als auch kaufmännisch auszubilden. 1948, kurz nach der Währungsreform trat Peter Sapper seine erste Stelle als Modelleur in einer Nürnberger Schuhfabrik an.

Carlos Sapper war nicht nur Schuhexperte und Kunstliebhaber, sondern auch ein tatkräftiger, weltkluger Mann und immer Leitbild für seinen Sohn Peter und wohl ebenso für seinen ähnlich tüchtigen Bruder Helmut. Carlos Sappers Bruder Richard Sapper (1891-1964) war Maler und Grafiker und dessen gleichnamiger Sohn, also Cousin von Peter Sapper ist der bekannter Designer Richard Sapper, dessen Arbeiten heute weltweit verkauft werden und auch in bedeutendsten Kunstmuseen zu finden sind, wie z.B. im MOMA, in New York. Peter Sapper, der in jungen Jahren viel gezeichnet hat, erprobte seine Vorstellungskraft, indem er bei Telefonaten mit Fremden versuchte, sich allein aus Stimme und Artikulation ein Bild der Gesprächspartner zu malen, das sich dann beim persönlichen Kontakt mit diesem meist als richtig erwies. Ebenso war es für ihn ein Leichtes, mit wenigen Strichen in Windeseile einen Schuh zu zeichnen und zwar so präzise, dass ein Modelleur sofort mit der Ausarbeitung beginnen konnte. Die Familieneigenschaften Energie, Pioniergeist und gestalterische Begabung waren auch in Peter Sapper gegenwärtig und sein sicherer Geschmack, sein gutes Formgefühl erklären wohl die Erfolge seiner Schuhkollektionen.

Marksteine des Erfolgs - das Lebenswerk:

Nachdem Peter Sapper 1952 seine Position in Nürnberg aufgab, um in München die Chance als Geschäftsführer einer kleinen Schuhfabrik zu ergreifen, musste er bald erkennen, dass er aufs falsche Pferd gesetzt hatte: die Gesellschafter gerieten in Streit und so zog er die Konsequenzen und trat aus. Sehr zurückgeworfen, aber um Erfahrungen reicher. Rückblickend erschien ihm diese erfolglose Periode als eine der Wichtigsten, denn sie war es, die den Entschluss reifen ließ, sich selbstständig zu machen. Zu günstigen Bedingungen konnte Peter Sapper eine in Schwierigkeiten geratene Hausschuhfabrik in Walheim/Neckar erwerben. Sie sollte der Grundstein für ein Lebenswerk sein, das in der Schuhbranche seines gleichen sucht. Die sehr begrenzten Mittel zwangen zur Entwicklung unorthodoxer Herstellungsmethoden. 

Peter Sapper besann sich auf die ohne großen maschinellen Aufwand, jedoch mit viel Handarbeit herzustellende Mokassin-Machart. So entstand in der neu gegründeten „Walheimer Schuhfabrik“ ein Schuhtyp, der bisher in Deutschland kaum bekannt war und seine Wurzeln bei den Indianern hatte: Ein Slipper-Modell für Damen und Herren, als echter Mokassin gearbeitet, bei dem das weiche wertvolle Oberleder den ganzen Fuß wie ein Handschuh umschließt, unerreicht biegsam und flexibel. Mit dem von Professor H. E. Köhler geschaffenen Firmenemblem, dem schleichenden Indianer und dem Attribut „märchenhaft bequem“ ausgestattet, traten Mokassins aus Walheim ihren Siegeszug an. Den Slipper-Modellen der 50-er Jahre folgten sportliche Schnürmodelle und gleichzeitig entwickelte Peter Sapper das legendäre Modell „Autoped“ mit der praktischen Kreppgummiferse zum Gas geben und Bremsen. Das Folgemodell „Intarsia“, war dann ein stadtfeiner Loafer, in dessen Ledersohle dekorativ-griffige Gumminoppen eingelassen waren, und dieser kam 1958 auf den Markt, also wohlgemerkt Jahrzehnte bevor dieser Schuhtyp von vielen Schuhherstellern aufgegriffen und kopiert wurde. Intelligente Konzeptschuhe waren seit der Gründung im Jahr 1954 das Markenzeichen der ehrgeizigen Schuhfabrik aus dem Schwäbischen, die ab 1960 als Sioux-Schuhfabrik firmierte. Was Peter Sapper aber dann 1964 entwickelte war zunächst ein Risiko, denn ein Naturform-Schuh wollte so gar nicht ins Straßenbild der 60-er Jahre passen. Doch genau dieses Modell sollte den großen Durchbruch auf internationaler Ebene bringen: der legendäre „Grashopper“. Dieser Schuhtyp für die ganze Familie überzeugte nicht nur durch Passform und Bequemlichkeit, sondern war auch Wegbereiter für einen Trend zu lässiger Mode und äußerlich unangepasstem Individualismus, der sich bis heute durchzieht. 

In den Folgejahren wurden viele weitere Erfolgsmodelle kreiert in denen immer  ein Leitspruch des Firmengründers zu spüren war: „es muss in Dir brennen, was Du in anderen zu  entzünden versuchst.“

Text und Recherche:  Walter Fetzer Marketingleiter Sioux a.D.


Dossiers

Peter Sapper und seine Sioux-Schuhfabriken von Dr. Wolfgang Bollacher (Ludwigsburg)

Als Peter Sapper am 27. März 1981 aus dem Leben schied, hieß es in der Traueranzeige von Geschäftsleitung, Beirat, Betriebsrat und Mitarbeitern der Sioux-Schuhfabriken in Walheim: »Mit überragender unternehmerischer Begabung, lauterer Gesinnung und bewegender Menschlichkeit, mit großem Verantwortungsbewusstsein gegenüber seinen Mitarbeitern und unermüdlichem Einsatz aller seiner Kräfte hat er das Unternehmen aus kleinsten Anfängen heraus geschaffen. Er hat sich für dieses — sein Lebenswerk — verzehrt«.

Es ist in der Tat bewundernswürdig, was Peter Sapper in einem Viertel-Jahrhundert geschaffen hat. Mochten ihm die Jahre zwischen 1955 und1980 mit ihren wirtschaftlichen und politischen Bedingungen auch entgegengekommen sein, so bleibt doch seine eigene Leistung unübersehbar ein Schuhmacher wagte es, in Walheim, unfern der berühmten Salamander Schuhfabriken in Kornwestheim, ebenfalls Schuhfabriken auf zubauen, deren Produkte schon bald hohe Geltung erlangten. Peter Sapper — 1922 in Stuttgart geboren — erwarb sich nach Schul- und Militärzeit im ersten Nachkriegsjahr sein fremdsprachliches Rüstzeug in einer Dolmetscherschule. Er entschloss sich dann, es seinem Vater gleich zutun und in die Schuhindustrie zugehen, denn, so sagte er später immer wieder, die Schusterei ist eine interessante Sache, wenn man sie in ihrer ganzen Vielfalt erfasst. Er lies sich technisch und kaufmännisch ausbilden und war zunächst als Modelleur tätig. 1953 konnte er mit Hilfe seines Vaters eine in Schwierigkeiten geratene kleine Hausschuhfabrik in Walheim/Neckar erwerben. Es war nicht die Schuhfabrik mit Magnolienbäumen vor weiß getünchten Werkshallen, von der er im Familien- und Freundes—kreise zu träumen pflegte, aber sie war ein Startplatz. Mit zwanzig Mitarbeitern begann er in gemieteten Räumen mit der Produktion des »Mokassins«, eines Schuhs, bei dem das Oberleder den ganzen Fuß umschließt, und der als weichster und schmiegsamster Schutz des Fußes gilt. Der Mokassin wurde wahrscheinlich von den Indianern Nordamerikas erfunden. So lag es nahe, diesen Schuhen den Namen »Sioux« zu geben. Das Sioux-Markenzeichen — den Indianer — schuf Professor H. E. Köhler. Zum ersten großen Durchbruch des Mocassins kam es 1956 und Sioux-Schuhe »märchenhaft bequem« wurden auf dem Markt zu einem Begriff. Zwischen1958 und 1963 entstanden ein eigenes Fabrikgebäude in Walheim und Zweigwerke in Ingersheim, Schrozberg und Bopfingen, später in Massenbachhausen, Öhringen und Speyer. In Dettwiller/Elsaß gründete Peter Sapper zusammen mit Robert Heschung ein Unternehmen unter dem Namen »Mocassin d’Alsace«, das nach Beseitigung rechtlicher Hindernisse in »Sioux-France« umbenannt wurde und auch in Steinbourg und Phalsbourg produzierte. In den Jahren 1969 bis 1973 wurde in Pisa/Migliarinodie Schuhfabrik »Italsioux« aufgebaut, einige Zeit danach die Schuhfabrik »Leonardo da Vinci« in Fucecchio hinzugekauft. Die Vertriebsgesellschaften »Sioux—Schuhexport AG« in Chur und »Sioux of America« wurden ins Leben gerufen. Im 77 Stockwerk des Empire State Building hatte das amerikanische Verkaufsbüro seinen Sitz. Lizenz- und Know-how-Abkommen mit bedeutenden Schuhherstellern in Irland, Jugoslawien, Japan und Südafrika brachten Sioux—Schuhe auch auf Märkte, in die nicht exportiert werden konnte. 1975 wurde das Firmengelände in Walheim durch Kauf eines großen Nachbargrundstücks arrondiert. 1980 überstieg die Mitarbeiterzahl im In— und Ausland insgesamt 2500, die Jahresproduktion bewegte sich auf drei Millionen Paar Schuhe zu, die alle in gold-farbenen Kartons verpackt waren. Mehrmals rüstete Peter Sapper die deutsche Olympiamannschaft mit seinen Schuhen aus. Das Vertriebssystem der Sioux—Schuhfabriken Peter Sapper GmbH Z( Co. KG — so Rechtsform und Firmierung des Unternehmens — war selektiv, das heißt, Sioux-Schuhe wurden mit unverbindlichen Preisempfehlungen über freie Handelsvertreter nur an den Facheinzelhandel verkauft. Peter Sapperschuh, für seine Mitarbeiter eine betriebliche Altersversorgung, gründete die Firmenzeitschrift »Wir bei Sioux« und setzte einen Beirat ein, der ihm «bei allen wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Entscheidungen Hilfe leistete. Ich habe Peter Sapper als juristischer Berater und Mitglied im Beirat über zwölf Jahre begleitet und war mit ihm befreundet, weshalb ich nicht nur tabellarisch über sein Werk, sondern auch über seine Herkunft und seine Wesenszüge berichten kann. Der Großvater Peter Sappers väterlicherseits, Karl Richard Sapper, wanderte in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts nach Guatemala aus und schuf eine bedeutende Kaffeeplantage, die »Sapper Compania«. Sein Bruder, Professor Karl Sapper, zeichnete die erste Landkarte Guatemalas. Der Vater Peter Sappers, Carlos Sapper (1895—1971), wuchs, nachdem er in Ravensburg geboren wurde — seine Mutter war eigens zur Entbindung übers Meer gekommen —, drüben auf, kam aber noch als Schüler in sein Geburtsland zurück, wo er dann den Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger mitmachte. Er heiratete Lore Haueisen, die Tochter des Schuhfabrikanten Hermann Haueisen, und trat in dessen »Mercedes-Schuhfabriken« in Stuttgart-Bad Cannstatt ein, deren Geschäftsführer er zuletzt war. Carlos Sapper war nicht nur Schuhexperte und Kunstliebhaber — ein Sammlungsstück von ihm befindet sich als Leihgabe im Württembergischen Landesmuseum —, sondern auch ein tatkräftiger, weltkluger Mann und immer Leitbild für Peter Sapper und wohl ebenso für seinen ähnlich tüchtigen Bruder Helmut. Carlos Sappers Bruder Richard Sapper (1891—1964) war Maler und Grafiker, dessen gleichnamiger Sohn ist weltbekannter Designer, und ein Großonkel Peter Sappers war Albert Haueisen (1872—1954), der namhafte Maler und — in den zwanziger Jahren— Direktor der Karlsruher Akademie. Die Familieneigenschaften Energie, Pioniergeist und gestalterische Begabung waren auch in Peter Sapper gegenwärtig, und es ist vielleicht kein Zufall, dass er den unerreichten Puppenspieler Albrecht Roser zu seinen Freunden zählte. Peter Sapper, der in seinen jungen Jahren viel gezeichnet hat, erprobte seine Vorstellungskraft, indem er bei Telefongesprächen mit Fremden versuchte, sich allein aus Stimme und Artikulation ein Bild der Gesprächspartner zu malen, das sich dann beim persönlichen Kontakt mit diesen meist als richtig erwies. In Wurzeln, kahlen Bäumen und Felsgestein erkannte er Figuren und Gestalten. Er konnte bei Fahrten mit dem Auto plötzlich anhalten und sagen, der Baum da vorne sehe wie ein Segelschiff aus oder wie ein Prophetenkopf. In der Vegetationszeit forderte er von sich und anderen, sich die Landschaft winterlich kahl vorzustellen und umgekehrt. Von hohem Kunstsinn zeugte seine Sammlung von Schuhen und Schuster- sowie Schusterzunftgeräten in Bild, Zinn, Porzellan, Edelmetall usf. Sicherer Geschmack und gutes Formgefühl waren ihm eigen und erklärten die Erfolge seiner Schuhkollektionen. Er hegte eine Liebe für Josef von Eichendorff. Aus dem Gedicht »Mondnacht« war ihm der Vers »Und meine Seele spannte! weit ihre Flügel aus! flog durch die stillen Lande! als flöge sie nach Haus« besonders ans Herz gewachsen.

1957 hatte Peter Sapper Karin Andreas geheiratet. In rascher Folge kamen vier Kinder zur Welt. 1970 schrieb Peter Sapper in einem kleinen Lebensbericht: »Das größte Glück empfinde ich angesichts meiner viel-köpfigen Familie, einer Lebensgefährtin, die meine Freuden und Sorgen teilt und Kindern, die — so Gott will - einmal ohne Krieg, gestützt auf eine solide Ausbildung und ein funktionierendes Elternhaus auch Verantwortung in der Firma übernehmen können «Ein Mann mit diesem Naturell musste sich die Härte, welche die Geschäfte erforderten, oft abringen. Dies galt insbesondere bei personellen Entscheidungen, so zum Beispiel 1968. Damals hatte sich einer seiner engsten Mitarbeiter, der sein ganzes Vertrauen besaß, abfällig und kränkend über ein nahes Familienmitglied Peter Sappers geäußert und war deshalb nicht mehr tragbar. Peter Sapper war tief getroffen und einer Depression nahe. Dennoch gestattete er es dem Mitarbeiter vornehm, trotz eines bestehenden Wettbewerbsverbots zur Konkurrenz zu gehen. Als der ehemalige Mitarbeiter dann 1975 bei einem Flugzeugunglück in Leipzig ums Leben kam, wühlte ihn der lange zurückliegende Bruch abermals auf. Es heißt, sensible und phantasievolle Menschen erlebten mehr. Der Preis dafür seien Selbstzweifel, Ängste und dunkle Ahnungen, die so mächtig werden könnten, dass sie den eigenen Weg verstellen. Wir müssen annehmen, dass es bei Peter Sapper auch so war, und das er gegen Ende seines Lebens gespürt hat, das große SIOUX Fest zum 25 jährigen Bestehen des Unternehmens sei dessen Scheitelpunkt gewesen, und die wirtschaftlichen und persönlichen Perspektiven für seinen glücklichen Fortbestand seien nicht günstig. Er hat es angedeutet, wieder zurückgenommen und wieder angedeutet. Verschwistert mit Sensibilität und Phantasie waren Spontanität und Drang zum Handeln, die oft in Erstaunen versetzten. Bei einer Autofahrt vor Weihnachten durch Stuttgart fragte er mich unvermittelt im geschäftlichen Gespräch: »Haben sie schon einen Christbaum?« Ich verneinte. Er lenkte den Wagen sofort an einen Christbaummarkt am Marienplatz und ich musste einen Baum kaufen, der in den Kofferraum gepackt wurde. Im April 1972 hatten er und ich gemeinsam eine abendliche Veranstaltung besucht. Wir fuhren jeder in seinem Wagen heim, ich fuhr voraus. Plötzlich überholte er mich mit eingeschaltetem Warnblinklicht, hielt an, stieg aus und kam zu mir, der ich auch angehalten hatte, ans Fenster« »Wolfgang« sagte er, »ich heiße Peter«. Ab dieser Stunde duzten wir uns. Im Flughafen von Pisa verursachte Peter Sapper heftige Unruhe. Das Kontrollpersonal entdeckte in seinem Mantel eine große Gartenschere. Peter Sapper erklärte mir, er habe sie unmittelbar vor der Abreise in Walheim zufällig im Hause liegen sehen, und sie, einer plötzlichen Eingebung folgend, mit dem Gedanken eingeschoben, sie vielleicht als Verteidigungsinstrument gebrauchen zu können. Es war die Zeit, in der Persönlichkeiten der Politik und Wirtschaft von Linksterroristen bedroht waren und sich Leibwächter hielten, und in der die Deutschen mit dem schrecklichen Verbrechen an Hanns-Martin Schleyer fertig werden mussten mit dem er befreundet war Die Schere war bei der Hinreise nicht bemerkt: worden, weil Peter Sapper und ich mit der Bahn gefahren waren.

In New York war er bei einem Geschäftsfreund eingeladen gewesen und mit einem Taxi auf der Rückfahrt ins Hotel. Da fiel ihm ein, er könne dem Gastgeber und seiner Gattin zum Dank Blumen schicken lassen. Er sprang aus dem Taxi in einen Blumenladen und wies den Fahrer an, zu warten. Als er herauskam, war dieser samt Gepäck verschwunden. Das Gepäck enthielt wichtige Geschäftsunterlagen die später teilweise wieder im Central-Park gefunden und ihm über den Geschäftsfreund zugestellt wurden. Vieles aber war verloren. Der Schaden war beträchtlich. Zu einem frühherbstlichen Treffen seines rotarischen Freundeskreises 1973 im Schloss Ludwigsburg kam er zu spät. Der Hof war dunkel. Er suchte ungeduldig Einlass und noch ungeduldiger einen Lichtschalter. Dabei schlug er versehentlich einen Feuermelder ein und die Sirenen heulten auf. Wie er mir gestand, sei sein erster Gedanke gewesen zu fliehen. Er habe sich dann aber besonnen und sei mannhaft den anrückenden Lösch-Zügen der Ludwigsburger Feuerwehr entgegengetreten. Er hat nie verraten, was ihn die Sache gekostet hat. Peter Sapper lebte für sein Werk und seine Mitarbeiter. Dafür setzte er alle Kräfte ein. Er konnte Menschen führen, auf sie zugehen, sie für sich gewinnen, vor allem dadurch, dass er sich ihnen gegenüber dankbar und großzügig zeigte, sie am Erfolg — auch materiell — teilhaben ließ, und dass er verlässlich und berechenbar blieb. Er kümmerte sich um den einzelnen Menschen. Als einer seiner Meister auf der Heimfahrt von der Arbeit schwer verunglückte, suchte er noch in der Nacht dessen Familie auf und sprach ihr Trost zu. Ehrenämter und gesellschaftliches Leben lockten ihn nicht. Umarmungsversuchen der Politik entzog er sich, wiewohl er loyal zur Republik stand. Großstuerei war ihm zuwider. Er war darum sehr bekümmert, als sein neues Wohnhaus »Auf der Burg« in Walheim zu großgeriet. »So etwas muss mir passieren«, sagte er mir mehr als einmal. Sein Unternehmen beschäftigte ihn bei Tag und Nacht. Unbeschwerte Freizeit kannte Peter Sapper nach meiner Einschätzung nicht. Für ihn bedeutete es Erholung, aufs Land zu fahren, an schöner, aussichtsreicher Stelle zu parken und dann vom Auto aus mit Lieferanten, Vertretern und Kunden zu telefonieren. Sein Versprechen, vierzehn Tage Urlaub auf Elba zu machen, hielt er nicht durch. Nach einer knappen Woche war er wieder im Betrieb, ohne Sakko übrigens, den er in der Eile der Abreise im heißen Urlaubsort gelassen hatte. Im Dezember 1973 kam ihm ein Leistenbruch höchst ungelegen. Die Operation war aber nicht zu umgehen. Sein Krankenzimmer gestaltete er zur Schaltzentrale des Sioux-Unternehmens um, und den Chirurgen verstand er davon zu überzeugen, das er rasch wieder zu entlassen sei. Tatsächlich flog er mit mir am zehnten Tag nach der Operation nach Italien, wo er nur widerstrebend zuließ, dass ich ihm wenigstens das Gepäck trug. Dass er sich überhaupt operieren ließ, war nicht selbstverständlich. Einmal war ihm ein Eingriff angeraten worden. Er war schon zur Operation vorbereitet, als ihm Zweifel kamen, ob der Eingriff nötig sei. Er entschied, er sei nicht nötig und verließ Bett und Krankenhaus, ein sehr verwundertes Klinikpersonal zurücklassend. Er arbeitete zu viel und schon 1974 wurde ihm von befreundeten Ärzten geraten, mehr auf seine Gesundheit zu achten. Auf einer Reise nach Italien im August 1973 landeten wir wegen Fluglotsenstreiks verspätet in Mailand, erreichten die Maschine nach Pisa nicht mehr und mussten ein Taxi nehmen. Angetrieben von dem des verpassten Anschlusses sehr ärgerlich gewordenen Peter Sapper, jagte der Fahrerden Wagen durch« die Poebene und über den steilen Passo di Cisa, um die Verspätung zu minimieren. Die Bremse litt und wurde merklich schlechter. »Freno caputo«, jammerte der Chauffeur »Per me e stel tutto uguale,avanti! Devo essere puntuale a Pisa, cosa importante!« erwiderte Peter Sapper und setzte die Prioritäten. In seinem italienischen Unternehmen hatte er dem Geschäftsführer zu großes Vertrauen geschenkt, das dieser missbrauchte. Es kostete ihn Kraft, mit dieser Erkenntnis fertig zu werden und sich Ende 1973 von dem ungetreuen Mann zu trennen, was dieser zu verhindern versuchte. Auf belebter Straße in Pisa am Ufer des Arno Hel viel er vor Peter Sapper auf die Knie und flehte ihn mit erhobenen Händen an, ihm seine Unregelmäßigkeiten zu verzeihen, ihn zu behalten oder ihm Geld zu geben. Mir klingt noch sein »Signore Sapper, per favore, per favore!« in den Ohren. Ein unwürdiges Spiel, bei dem Peter Sapper jedoch fest blieb. Mit großem Mut übernahm er die persönliche Haftung für das Unternehmen, dessen Schulden zu diesem Zeitpunkt nicht zu übersehen waren, und wandelte es in kurzer Zeit in eine florierende Aktiengesellschaft um. Ein mühsamer Weg, nicht zuletzt deshalb, weil damals in Italien alle notariellen Urkunden von Hand geschrieben werden mussten, und in diesem Falle einmal in italienischer und einmal in deutscher Sprache. Wenn es um das Unternehmen ging, schonte er, wie wir schon gezeigt haben, seine Umgebung nicht. Ich erinnere mich einer Sitzung in einem Churer Hotel im November 1977, in der unter seinem Vorsitz die leitenden Herren aus Walheim, Pisa und Chur von morgens neun Uhr bis am andern Morgen um drei Uhr berieten. Mit geröteten Augen und abgeschlafft begaben sich alle zu Bett, um sich um acht Uhr, wie befohlen, wieder zum Frühstück zu treffen. Peter Sapper erschien in höchst aufgeräumter Stimmung und pries das Wunder des Schlafes, der frische Kraft verleihe. Nicht alle erlebten das Wunder im gleichen Maße, wie ein Blick in die Frühstücksrunde bewies. Von dieser langen Sitzung mit kleinen Imbiss-Pausen abgesehen, achtete Peter Sapper, der eine feine Küche liebte, aber immer darauf, dass nach anstrengender Sitzung oder Besprechung gut gespeist wurde, sei es bei »Kempinski« in Berlin, im »Boeuf Noir« in Saverne, in der »Auberge de Kochersberg« im Elsas, im »Dolder« in Zürich, im »Duc de Rohan« in Chur, im »Erbprinzen« in Ettlingen, im Schloss Hotel in Friedrichsruhe, in der »Villa di Medici« in Florenz, im »Breidenbacher Hof« in Düsseldorf. Es war dies ein kleiner Luxus, den er sich, seinen Beratern und Mitarbeitern zuteil werden ließ. Am 25.Geburtstag des Unternehmens 1979, der unter dem Leitwort »Sioux — welch ein Unterschied« festlich begangen wurde, meinte der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Lothar Späth, in seiner Rede, das Land habe keine Krisenprobleme und dies vielleicht deshalb nicht, weil es immer wieder Menschen wie Peter Sapper gebe, und der Präsident der Industrie- und Handelskammer Ludwigsburg, Dr. Erich Bracher, führte aus, Walheim sei inzwischen zum Hoffnungswort von Millionen Fußgeplagter geworden und die Kammer sei stolz auf dieses Unternehmen, das in vorbildlicher Weise schwäbischen Pioniergeist und deutsche Wertarbeit verkörpere. Im Beirat, erweitert um die leitenden Mitarbeiter, sagte ich in einer kurzen Laudatio, teilweise natürlich mit Augenzwinkern: »Peter Sapper ist kameradschaftlich, aufrichtig, couragiert, rastlos und von reichem Gemüt, nicht ohne zahlreiche seinen Berufsbereich überschreitende Interessen, nicht ohne Liebe für Harmonie und Kunst, nicht ohne Humor und Schläue. Er ist bescheiden geblieben und ohne Allüren und Eitelkeiten. seine Einfälle überraschen, reißen mit, motivieren seine Mitarbeiter und weisen neue Wege. In Peter Sapper lebt etwas von der Originalität der großen Schuhmacher der Geschichte, der Patrone der Schuster, Crispinus und Crispianus, die im vierten nach-christlichen Jahrhundert den barfüßigen Armen unentgeltlich Schuhe machten, des Jakob Böhme aus Gorlitz, der um die Wende des 16. zum 17. Jahrhunderts in seiner Lehre Naturphilosophie und deutsche Mystik verschmolz und selbst Hegel befruchtete, des im 16. Jahrhundert lebenden Hans Sachs aus Nürnberg, dessen Fabulierlust uns bis heute wirksame Schwänke und Fastnachtsspiele bescherte und last not least des WilhelmVoigt, der 1906 als Hauptmann verkleidet mit ihm zufällig begegnenden Soldaten das Rathaus von Köpenick besetzte und sich der Stadtkasse bemächtigte .«Was in Walheim und von Walheim ausgehend in etwa 25 Jahren aufgebaut wurde, ist ein kleines, aber exemplarisches Stück heimatlicher und deutscher Wirtschaftsgeschichte des dritten Viertels unseres Jahrhunderts. Es war das Werk eines Mannes — Peter Sapper — und zeigt, was ein begabter und mutiger Unternehmer schaffen konnte. Leider war dem Werk kein langes Leben mehr beschieden. Ziemlich genau elf Jahre nach seinem tragischen Tod, nämlich im April 1992, verkauften die Gesellschafter — seine Witwe und seine Kinder — ihre Geschäfts- und Kommanditanteile an die Salamander AG in Kornwestheim und Peter Sapper verschwand auch aus dem Firmennamen seiner Sioux-Schuhfabriken. Im Gedächtnis derer, die ihn kannten, lebt er weiter.

Dr. Wolfgang Bollacher
Ludwigsburg



Ein Mokassin für Bleichgesichter

"Das ist nicht Ihr Ernst. Das sind ja Schuhe zum Waldbrandaustreten." Die auf schlank, spitz und unbeschreiblich weiblich eingestellten Schuheinkäufer schauten empört, als man ihnen 1964 das neue Sioux-Modell Grashopper vorstellte.

Man habe diesen Schuh, einen schlichten Mokassin aus sandfarbenem Wildleder auf weicher Kautschukkreppsohle, damals einfach nicht verstanden, erinnert sich Walter Fetzer, über vier Jahrzehnte Marketingchef der damals jungen Schuhmarke. Zu ungewohnt, gerade zu ein Schock sei die Form im ersten Moment für das Publikum gewesen, zu einer Zeit, als man sich nicht ungern gerade an die fußmordenden Bleistiftabsätze (samt weiblicher Wirbelsäule in S-Kurve) gewöhnt hatte, die um 1960 technisch erstmals möglich geworden waren. Vorne eckig und in der Mitte unerträglich breit, empfand man das neue Sioux-Modell, das unter dem Slogan "naturtreu" endlich Freiraum für die Zehen propagierte, als uncharmant, ja als unanständig freizügig. Ein Anfall von Idiosynkrasie, so kann man sich im Rückblick nicht zu bemerken verkneifen, den sich die Zeitgenossen schon bald abschminken sollten, als sie angesichts in Mode kommender studentischer Lockerungsübungen wie Sit-ins, Teach-ins, Demonstrationen und sexuell befreiter Kommune-Experimente mit ganz anderen Dosierungen von Libertinage und Rebellion gegen überkommene, einengende Formen konfrontiert waren.

Aber zurück zur Zehenfreiheit. Zwar hatte Sioux in den letzten Jahren schon mehrfach überraschende Modelle herausgebracht, vom kessen Teenager-Mokassin Caramba (1960), der den Spagat schaffte, als Begleiter von Rolli und Petticoat ebenso gut auszusehen wie zu kurzen Hosen und Pfadfinderhemd, über den Autoped (1957) mit seiner praktischen Kreppgummiferse zum Gas geben im neuen Statussymbol Automobil, bis zum Intasia (1958), einem stadtfeinen Loafer, in dessen Ledersohle dekorativ-griffige Stoppernoppen aus Gummi eingelassen waren, dreißig Jahre vor den heute notorischen Tods.

Intelligente Konzeptschuhe waren seit der Gründung von Sioux im Jahr 1954 das Markenzeichen der ehrgeizigen Schuhfabrik aus dem Schwäbischen. Der neue "Naturtreu"-Treter Grashopper mit der Optik einer Zigarrenkiste und dem Tragegefühl eines Turnschuhs war des Innovativen denn aber doch zu viel, mutmaßten die schockierten Agenten des Handels. Am Markt, war man sich sicher, würde er chancenlos bleiben. Eine kapitale Fehleinschätzung. Von wenigen Wagemutigen erst einmal in den Schaufenstern der Großstadtschuhläden platziert, wurde der Grashopper vom Publikum jeden Alters in kürzester Zeit angenommen und eines der erfolgreichsten und (gemäß Coco Chanels Diktum, dass eine Kopie die ehrlichste Form des Kompliments sei) meistgehuldigten Modelle der modernen Schuhgeschichte.

In den 60er-Jahren, noch weit entfernt von heutiger Routine, mit der Prominente für penetrante Produktwerbung jeder Art eingespannt werden, darf man eine Sioux-Trägerin der ersten Stunde als Glücksfall werten: Diana Rigg, noch besser bekannt als Emma Peel, schlagfertige Agentin und Heldin der britischen TV-Serie "Mit Schirm, Charme und Melone", die vom schwarzen Leder-Catsuit bis zum persönlichen Kraftfahrzeug der Marke Lotus Elise stets Geschmack bewies. Ein in Sioux-Besitz befindliches Foto zeigt die schicke Mrs. Peel in feuerrotem Hosenanzug. "Avengers"-Filmpartner Patrick MacNee alias Mr. John Steed, diesmal seltsamerweise in der Montur eines englischen Polizisten, umfasst resolut ihre Knie und ist gewillt, sie auf Händen zu tragen. Dabei hat sie das gar nicht nötig, trägt sie doch ein Paar original Sioux-Grashopper! Der Grashopper hat, wie schon erwähnt, nicht nur zahllose Bewunderer und darum eine noch größere Zahl illegitimer Geschwister. Es gibt auch einen rechtmäßigen Klon, der vor allem Liebhabern von zeitgenössischem Britpop nicht unbekannt sein dürfte: Gemeint ist das Modell Wallabee der englischen Firma Clarks. Es wird gelegentlich von englischen Popstars wie den Brüdern Gallagher von Oasis oder Damon Albarn, dem Sänger von Blur, spazieren getragen - sofern man den Paparazzi Fotos einschlägiger Magazine vertraut. Und das ist die Geschichte: Weil zur Mitte des letzten Jahrhunderts - vor Zeiten der Globalisierung, als auch Fabrikanten noch Menschen waren - die Familie Clark, unter anderem im Besitz der Schuhfirma Clarks, und die Familie Sapper, Besitzer von Sioux, befreundet waren, schickten die Clarks den jungen Lance, der ins Familiengeschäft einsteigen sollte, Ende der Sechzigerjahre zu einem Betriebspraktikum nach Deutschland, zu Sappers. Hier stieß Lance Clark auf den in Deutschland gerade populär werdenden Grashopper, erkannte hellsichtig dessen Potenzial und ließ nicht locker (war er Emma-Peel-Fan? Kannte er das Foto?), bis er schließlich von Sioux-Chef Peter Sapper einen Vertrag erhielt, um diesen Schuh auch unter dem Namen Clarks herstellen zu dürfen. Die Rechnung ging auf. Als zehn Jahre später Sioux mit einem rauschenden Fest sein fünfundzwanzigstes Jubiläum feierte, überreichte der angereiste Lance Clark dem Jubilar ein symbolträchtiges Geschenk: einen Plüschtier-Grashüpfer und ein Plüschtier-Känguru, englisch wallabee. Beide Tierchen hüpfen, soll Clark in seiner Ansprache augenzwinkernd angemerkt haben. Betrachtet man die nunmehr ein halbes Jahrhundert umfassende Geschichte der Marke Sioux, so beeindruckt ihre bis heute stabile Bekanntheit und nach periodischen Dürrephasen tapfer verteidigte Vitalität. Diese relative Gesundheit verdankt sie einem Verstärkereffekt, der sich aus dem günstigen Zusammenspiel von drei maßgeblichen Faktoren ergibt: dem dauerhaft soliden Produkt, der vor allem in der Gründerzeit den Nerv der Zeit treffende Philosophie sowie erfinderischen Erfindern, Helfern und Helfershelfern.

Die Schuhe: Eine Perlenschnur intelligenter Konzeptschuhe (siehe Randspalte auf der folgenden Seite) zieht sich durch die Kollektionen vor allem der stilprägenden ersten fünfundzwanzig Jahre, flankiert und akzentuiert von naturgemäß weniger spektakulären, dabei stets ebenfalls solide-modernen Saisomodellen und -formen im typischen Sioux-Look. Innovation spielte dabei von Anfang an eine besondere Rolle. Das Design sollte nicht nur Gegenwart resümieren, sondern jedem Schuh (lange vor Bama wurde in der Herbstkollektion 1969 der Sioux-Halbschuh Cortina mit einer Skischuhschnalle verschlossen) ein kleines Versprechen einbauen - auf etwas Unbekanntes, auf eine vage, verheißungsvolle Zukunft voll neuer Möglichkeiten. Dabei ging es immer darum, die neue Form entlang dem visuellen Standard der jeweiligen Gegenwart zu fassen und in eine grundsätzlich tragbare Ästhetik zu übersetzten. Kein verkrampftes Streben nach Zeitlosigkeit - Klassiker wurden die schönsten Sioux-Modelle ganz von allein -, aber auch kein hyperfuturistischer Freestyle für geltungssüchtige Exzentriker.

Jahrzehnte später machte diese Konzeptkultur allenthalben Schule und wurde in kommerzieller Zuspitzung vor allem von der Sportartikelindustrie bei High-Tech-Trainern fortgeführt, wo über periodische schuhtechnologische Innovationen Turnschuhe als einzigartige Produktstars präsentiert werden. Nach diesem Prinzip, etwas niedriger gehängt, arbeitete Sioux schon vor vierzig Jahren beim Grashopper. Dessen bahnbrechende "Technologie" war das ihm eingebaute Emanzipationsprogramm: Als dafür der aus dem Sanitärbereich stammende Fußformleisten für einen Straßenschuh "umgenutzt" wurde, geschah dies, um den Körper in sein Recht zu setzen. Das durfte man als eine - durchaus versöhnliche - Verstofflichung des Zeitgeists verstehen, der bekanntlich gesellschaftlichen Konventionen und steifen Formalismen damals drohend die rote Karte zeigte.

Im Umfeld der Mode blieb dieser Sioux-Konzeptschuh gleichwohl zunächst eine Provokation, und es galt, ihn - vor Flowerpower und Landlebenromantik, vor der Birkenstocksandale (die 1965 geboren wurde) und der Ökobewegung - zunächst durchaus gegen den herrschenden Zeitgeschmack durchzusetzen, der zu Beginn der Sechzigerjahre mit Wespentaille und Bienenkorbfrisur noch störrisch eine Ästhetik der Körperdisziplinierung exerzierte. Aber: Der antiautoritäre Impuls zeigte sich stärker als das Beharrungs- und Integrationsvermögen der alten Ordnungen. Was der Fußformleisten vorformuliert hatte, wurde unaufhaltsam Populärkultur.

Als auch vorpolitische Formen der Entdisziplinierung (wie etwa provokanter Wildwuchs des Haupthaars, das Recht auf notorisches Mitreden und eine eher unkonturierte Selbstverwirklichung oder auch so genanntes Aussteigen) Mode wurden, war es wiederum ein Sioux-Schuh, der den Animus dieser Zeit ikonisch formulierte: Der 1972 lancierte Outsider war ein preisgünstiger, flexibel genähter Knöchelstiefel, ebenfalls auf Naturformleisten, der durch seine Strapazierfähigkeit und informelle Vielseitigkeit gefiel und als Alternative zum leichteren Desertboot von Clarks die konstitutionell Robusteren unter den Schülern und Studenten für sich gewann. Nach längerer Laufzeit und darauf folgendem Aussetzen wurde er als Camel-Boot wiedergeboren und erneut ein Dauerläufer.

Dass Sioux-Schuhe bei aller Konzeptseligkeit stets nicht nur gut gebaut zu sein (Mokassin Machart und verwandte Nähtechniken) und modern auszusehen hatten, sondern auch - typisch deutsch - den Grundanforderungen an eine fußfreundliche Passform genügen mussten, ist ein weiteres Kernstück der Markenkonzeption. Diese prinzipielle Körperorientiertheit der Sioux-Mokassins, die seinerzeit mit Pionier-, wenn nicht Missionarsgestus in die Schuhmode eingeführt wurde, hat zwar heute nicht mehr den Nimbus des Revolutionären, sichert der Marke jedoch stabile Sympathiewerte, die es ihr erlaubten, sich auch in schwierigen Zeiten zu behaupten.

Auf die innovative und von unternehmerischem Aufbruch geprägte Gründerzeit unter dem feinsinnigen Peter Sapper folgten nach dessen Tod die deutlich schwierigeren 80er-Jahre, als seine Witwe Karin Sapper die alten Qualitätsansprüche, betreffend Material und Fertigung, gegen die Angriffe neuer Billigstprodukte aus dem Ausland verteidigen musste. Das Design dieser Jahre ist defensiver und konservativer und ruht weitgehend auf einer eher schüchternen Weiterentwicklung der bewährten Konzepte. Der steile Aufstieg der Turnschuhe vom reinen Sportgerät zum Bequem Schuhwerk der Großstadtjugend setzte Sioux dramatisch zu. Er ließ den alten Emanzipationsgedanken "Komfort trifft Mode" ins Spießige kippen, die Umsätze einbrechen und katapultierte das Unternehmen zeitweilig an den Rand der Katastrophe.

Als Anfang der 90er-Jahre Salamander das Unternehmen Sioux übernimmt, kann sich die Marke konsolidieren, indem man auch die Kommunikation neu aufpoliert. Die seinerzeit von Hanns Erich Köhler (1905-1983), dem langjährigen politischen Zeichner der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Freund von Peter Sapper, entworfene Bildmarke des schleichenden Indianers wurde in der neuen Werbung zum Leben erweckt, der Auftritt in eine neue Richtung gedreht.

Im Umfeld von Retrotrends und hochtourigem Technizismus, wie sie für die Mode und Schuhmode der 90er-Jahre typisch waren, konnte sich Sioux als unaufgeregter Klassiker etablieren. Die Fremdzuschreibung "spießig" übersetzen die heutigen Verantwortlichen im Hause Sioux in "bodenständig". Nach fünfzig Jahren beeindruckend praller Tradition sollte es heute darum gehen, dieses Kapital in Zukunft etwas wagemutiger zu interpretieren.

Es war ein letztlich konservativ gefasster Begriff von Modernität, den Sioux-Gründer Peter Sapper seinerzeit dem Entwurf seiner Marke zugrunde legte. Auf der einen Seite zeigte er sich in allen gestalterischen Belangen, vom Design der Schuhe über die Messestand- und Bürogestaltung bis zur Fabrikarchitektur, einer klaren, sachlichen, im herkömmlichen Sinn modernen Formensprache verpflichtet, die bei einer fast obsessiven Sympathie für moderne Technik auch einen Hauch von Großspurigkeit nicht unterdrückte. Andererseits spricht aus der Wahl seiner Mitarbeiter der ersten Stunde eine geradezu lupenrein konservative Haltung. Das Motto lautete: Eher keine Experimente! Nicht nur der stets englisch gekleidete und akribisch-pedantisch arbeitende Illustrator und inoffizielle Artdirector von Sioux während der ersten zwanzig Jahre, der preußische Böhme Hanns Erich Köhler, verkörperte einen Künstler vom Typus Antibohemien. Auch bei der Wahl der Druckerei und anderer künstlerischer "Zwischenmeister" zählte für Peter Sapper solides Handwerk mindestens ebenso viel wie kreativer Schmiss.

So mag man es kaum als Zufall betrachten, dass neben Köhler noch zwei weitere Protagonisten mit Dienstleistungen für die Firma in Erscheinung traten, die heute längst keine Unbekannten mehr sind. Da ist zum einen der Stuttgarter Design- und Architekturfotograf Franz Lazi. Er fotografierte 1968 für die damals astronomische Summe von 10.000 Mark eine Serie von Sioux-Werbemotiven. Mit Unterbrechungen dauerte die lockere Zusammenarbeit bis in die späten 1980er-Jahre, kurz vor Lazis Tod.

Der zweite Künstler, den man nicht unterschlagen möchte, ist der Regisseur und Kameramann Michael Ballhaus. Als Peter Sapper ebenfalls um 1968 einen Fernsehspot für den Grashopper plante, vergab er diesen Auftrag an die bekannte "Insel Film" in München. Der kleine Film wurde - ohne Tamtam, aber mit schönem Erfolg - unter der Regie des damals zugegebenermaßen noch vor seiner Karriere stehenden jungen Ballhaus verwirklicht.

Möglicherweise ist es auch diesem kreativ-hybriden Wertegefüge des Gründers zu danken, dass sich die Marke Sioux bis heute immer wieder verändern konnte, ohne sich grundsätzlich neu erfinden zu müssen, aber auch ohne sich im Beliebigen zu verlieren. Möglicherweise gerade die rechten Voraussetzungen, um weiter zu bestehen.

NIKE BREYER, geboren 1955, lebt als freie Autorin in Marburg an der Lahn

Quelle: http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2004/07/17/a0293